** Weiterhin Rückblick: VOR der Zeit in Hogwarts ** Magnolienweg 8 - der Flur im Erdgeschoss
Wer hatte ihm geschrieben?
Diese Frage beschäftigte Harry die ganze Zeit. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, wer - und vor allem warum! - ihm jemand schreiben sollte. Mit seinem Onkel zu reden, ließ er lieber. Erstens würde er Harry sowieso nichts sagen und zweitens hatte er sicherlich keine Lust auf Prügel.
Harry ließ sich auf sein Bett fallen und starrte an die Decke.
Allerdings nur einen kurzen Moment, dann richtete er sich sofort wieder auf und starrte leicht erschrocken zum Fenster.
Dort hockte eine Eule auf dem Fenstersims und klackerte immer wieder mit ihrem Schnabel gegen die Scheibe. Harry hatte bisher noch nie eine Eule gesehen, außer vielleicht auf einem Bild oder im Fernsehen. Etwas unentschlossen, was genau er jetzt tun sollte, stand er auf und ging vorsichtig zum Fenster. Er hatte erwartet, dass die Eule das Weite suchte, sobald Harry auf sie zuging, doch sie klackerte fröhlich weiter gegen die Scheibe.
"
Schhhhhhh!", machte Harry und wedelte mit den Armen.
Die Eule bewegte sich keinen Zentimeter und klopfte nur noch energischer gegen die Scheibe.
Harry stutzte. Was sollte er denn jetzt tun?
Vorsichtig, ohne genau zu wissen warum, schob er das Fenster hoch. Sofort schwirrte die Eule in sein Zimmer und ließ sich auf seinem Schreibtisch nieder. Sie legte den Kopf etwas schräg, schuhute und schaute ihn mit ihren runden Augen an.
"
Kann ich irgendwas für dich tun?", fragte er und kam sich dabei schon ein bißchen blöde vor.
Die Eule legte den Kopf auf die andere Seite, schaute sich im Zimmer um.
"
Ähm ... ich hab nichts für dich.", sagte Harry und zeigte ihr seine leeren Hände.
Die Eule schuhute erneut, breitete die Flügel aus und segelte durch Fenster hinaus in die Nacht.
Harry schaute ihr eine ganze Weile nach, bis er jemanden auf der Treppe hörte. Rasch schloss er das Fenster und setzte sich auf sein Bett. Die Tür ging auf und seine Tante streckte ihren Kopf ins Zimmer.
"
Wir machen uns gleich auf den Weg in den Zoo. Das Wohnzimmer ist abgeschlossen und ich weiß genau, was im Kühlschrank ist.", erklärte sie. "
Du wirst in der Zeit die Fenster hier oben putzen, die haben es mal wieder nötig."
Harry nickte langsam. "
Ja, Tante Zelda."
"
Mach keine krummen Dinger, verstanden?!", mahnte sie ihn mit erhobenem Zeigefinger, drehte sich um und schloss wieder die Tür.
Mach keine krummen Dinger ...
Wie oft hatten seine Tante und sein Onkel das nun schon zu ihm gesagt?
Harry machte keinen 'krummen Dinger'! Konnte er denn etwas dafür, dass in seiner Nähe manchmal merkwürdige Sachen geschahen?
Einmal hatte er draußen im Vorgarten das Laub zusammenkehren sollen. Vesta hatte sich einen Spaß daraus gemacht, den Laubhaufen immer wieder zu verteilen. Irgendwann, Harry war bereits auf hundertachtzig gewesen, hatte das ganze Laub im Vorgarten Feuer gefangen und war komplett zu kleinen Aschehäufchen verbrannt, ohne das auch nur ein Grashalm schwarz geworden war. Ein anderes mal hatte Harry genau gewusst, dass es in der Schule einen Rohrbruch auf der Herrentoilette geben würde und hatte dies seinem Lehrer mitgeteilt. Er hatte ihm nicht geglaubt, bis der ganze Korridor unter Wasser gestanden und alle Harry verdächtig hatten. Er war damals allerdings nicht einmal in der Nähe der Toiletten gewesen.
Ja, manchmal passierten merkwürdige Dinge in seiner Nähe. Doch er konnte weder etwas dafür, noch daran etwas ändern. Erklären konnte er es schon gar nicht. Auch nicht, warum einmal, als er eine von Onkel Oswalds Lieblingstassen beim Abwaschen zerbrochen hatte und er deswegen einen Tracht Prügel bekommen sollte, seine Zimmertür einfach nicht zu öffnen war, obwohl Harry noch nie einen Schlüssel dafür besessen hatte. Jedesmal, wenn so etwas merkwürdiges geschehen war, hatten sein Onkel und seine Tante ihn ganz merkwürdig angesehen. Ganz so, als hätten sie in diesem Augenblick erwartet, dass genau so etwas passieren würde.
Am späten Nachmittag schmerzten Harry die Arme vom Putzen der Fenster. Vesta war mal wieder ganz besonders lustig gewesen, und hatte vor der Abfahrt in den Zoo noch ihr ganzes Fenster mit Lippenstift, sicherlich von Tante Zelda, beschmiert und mit dem Finger die Worte 'Viel Spaß' hinein geschrieben. Er ließ sich auf sein Bett fallen und ohne es zu merken, entglitt ihm sein Bewusstsein und er schlief ein.
Er träumte einen sehr merkwürdigen Traum. Da war wieder dieses Schloss mit den beweglichen Treppen und den lebenden Bildern. Er saß in einer riesigen Halle, welche keine Decke zu haben schien, und hatte eine Art Hut auf dem Kopf.
Dann veränderte sich sein Traum und Harry war in absoluter Dunkelheit. Er fühlte keinen Boden unter seinen Füßen und das einzige was er wahrnahm war eine leise Stimme, die seinen Namen flüsterte.
Plötzlich landeten seine Füße auf hartem Boden und die Dunkelheit wurde durch ein blasses Licht gelüftet. Jemand kam auf ihn zu. Langsam, irgendwie raubtierartig. Harrys Beine schienen mit dem Boden verwachsen zu sein, denn sie bewegten sich keinen Millimeter. Dann, ohne jede Vorwarnung, brannte ein Schmerz in seiner Narbe auf, der ihn auf die Knie gezwungen hätte, hätten seine Beine sich bewegt. Die Gestallt, ein kahlköpfiger Mann mit weißer Haut und unheimlichen roten Augen, hob seine Hand in der er einen hölzernen Stab hielt und sein lippenloser Mund formte Worte, die Harry nicht verstand. Dann blitze grünes Licht auf ...
und Harry Peverell fiel unsanft aus dem Bett.
Noch bevor er sich aufrichten konnte, hörte er bereits aufgebrachte Stimmen aus dem Erdgeschoss.
Er konnte die Worte nicht verstehen, erkannte allerdings die Stimmen von Onkel und Tante.
Als Harry auf den Flur schlich, hörte er ein markerschütterndes Schnarchen aus dem Zimmer seiner Cousine.
Langsam, versucht keinen Laut zu verursachen, schlich Harry die Treppe hinunter.
Magnolienweg 8 - Das Wohnzimmer